Sind unsere Gefühle nicht mehr als irrationale Empfindungswallungen, denen wir auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind? Oder können wir unsere Emotionen auch als positive Kräfte zur erfolgreichen Gestaltung unserer Karriere nutzen?

„Wenn es ein Geheimnis des Erfolgs gibt, so ist es das, den Standpunkt des anderen zu verstehen und die Dinge mit seinen Augen zu sehen“ (Henry Ford)

Mehr als 25 Jahre ist es her, als ich einen „Karrieretipp“ erhielt, der mich bis heute beschäftigt: „Wenn Du als Frau wirklich erfolgreich sein willst, dann ist es wichtig, dass Du lernst, Deine Gefühle für Dich zu behalten; Emotionalität hat im Management keinen Platz.“ Das gab mir damals ein von mir sehr geschätzter Manager und Mentor mit auf den beruflichen Weg.

Interessant, wie sich derartige Aussagen in unser Gedächtnis eingraben. Mehr noch – sie beginnen, unsere Einstellungen zu verändern und damit auch unser Verhalten. Denn ich nahm mir lange Zeit zu Herzen, was mir dieser Mann als Ratschlag gab. Ich arbeitete hart daran, meine Gefühle zu unterdrücken wenn es um meinen beruflichen Aufstieg, meine Rolle im Management oder um Mitarbeiterführung ging. Ohne zu ahnen, was dabei auf der Strecke blieb.

Selbstverständlich haben sich im letzten Jahrzehnt die An- und Einsichten, was Leadership ausmacht, erheblich verändert. Nicht zuletzt ist es Daniel Goleman zu verdanken, dass „Emotionale Intelligenz“ keine leere Phrase mehr ist, mit dem Trainer und Coaches versuchen, trainingsmüde Manager zum Besuch eines weiteren Führungskräfte-Seminars zu motivieren.

Wir haben längst inhaliert, dass gute Führung mehr ist, als knallharte Ziele vorzugeben, jedes Quartal neue Strategien zu entwickeln und Visionen auszuformulieren. Wir wissen, dass Leader ohne die Fähigkeit zur Empathie und ohne einfühlsamen Kommunikationsstil von Mitarbeitern rasch als soziale Legastheniker wahrgenommen werden. Mitarbeitermotivation und –bindung, Identifikation mit den Aufgaben und dem Unternehmen – und damit der Erfolg – hängen maßgeblich davon ab, wie gut es Führungskräften gelingt, in „Beziehung“ zu treten. Eine charismatische Führungskraft weiß, was es bedeutet, ein menschliches Miteinander auf allen Ebenen der Organisation zu gewährleisten. Gegenseitiges Vertrauen, Wertschätzung und Achtsamkeit sind die Grundpfeiler für gutes Arbeitsklima, das auch in Krisen Sicherheit gibt.

Und doch – die Realität sieht anders aus. Wie oft werden wir immer noch damit konfrontiert, dass Gefühle und Einfühlungsvermögen in Chefetagen nicht unbedingt gewünscht, geschweige denn notwendig sind. Besonders Frauen, die sich dafür entscheiden, den Karriereweg einzuschlagen, hadern dann mit dem möglichen „Zuviel“ der eigenen Emotionalität, die als Stolperstein gesehen wird.

Emotionalität ist negativ besetzt. Jemandem, der „gefühlsbetont“ ist, wird gleichzeitig unterstellt, impulsiv, kopflos, aktionistisch und fern jeder Logik und Struktur zu agieren. Das sind Aussagen zu Reaktionsmustern, die tendenziell Frauen zugeschrieben und allzu oft unreflektiert als kollektive Wahrheit übernommen werden.

„Jeder sieht, was du scheinst. Nur wenige fühlen, wie du bist“ (Machiavelli)

„Emotional intelligent“ zu sein bedeutet jedoch nicht, KEINE Emotionen zu haben bzw. diese nicht zu zeigen. Es bedeutet, einen intelligenten Umgang mit Gefühlen – den eigenen und denen anderer – an den (Arbeits)Tag zu legen. Und das heißt vor allem in der Lage zu sein, ein gutes Gespür dafür zu besitzen, was mein Gegenüber braucht: welche Form der Kommunikation adäquat ist oder wie diese Person individuell angeleitet möchte und geführt werden muss. Kurzum: Emotional intelligente & kompetente Führung heißt, in Beziehung treten zu können und mein Gegenüber als „ganzen Menschen“ wahrzunehmen.

Bin ich als Manager in der Lage, nicht nur Rolle, Aufgabe und Funktion meines vis a vis zu sehen, sondern kann ich mich auch auf dessen Persönlichkeit, dessen Haltungen, Einstellungen und Sichtweisen einstellen? Lasse ich mich auf den Anderen ein, der – wie ich – über eine erheblichen Bandbreite an (emotionalen) Befindlichkeiten verfügt, die es zu berücksichtigen gilt, damit erfolgreiches Zusammenarbeiten möglich wird?

Leadership heißt heute vor allem „Beziehungsmanagement“. Interessant, dass unsere Gesellschaft die hierfür notwendigen sozialen Kompetenzen eher Frauen zuschreibt (auch ein Vorurteil?): Frauen besitzen ein besonders ausgeprägtes Maß an Empathie, verfügen über eine „natürliche“ Gabe, frühzeitig zu erspüren, was andere brauchen, können besser „lesen“, was in anderen vorgeht, bauen so leichter Beziehungen auf.

Damit diese Kompetenzen und Kapazitäten jedoch für alle erfolgreich genutzt werden können, braucht es unseren emotionalen Unterbau. Wir müssen einen Zustand dazu haben, was wir fühlen, wie wir empfinden, was wir brauchen, damit es uns gut geht und wir erfolgreich unsere (Führungs)Arbeit leisten können. Das setzt voraus, dass wir uns nicht abtrennen von unseren Gefühlen, sondern lernen, sie wahrzunehmen, hinzuhören und vor allem (uns selbst) zu spüren. Unsere Emotionalität ist ein wesentlicher Teil dessen, was wir sind, was uns als Persönlichkeit ausmacht – und worauf unsere Entscheidungen basieren! Wie können wir jemals wirklich „authentisch“ sein, wenn wir verleugnen, was uns im Innersten bewegt?

Menschen wollen von Menschen geführt werden.

„Aber wie kann ich empathisch sein, fühlen, was mein Umfeld von mir als Führungskraft braucht, wenn ich selbst nicht in der Lage bin, eigene Gefühle wahrzunehmen?“ Diese Frage, gestellt von einem Top-Manager während eines Coachings, bringt es auf den Punkt. Die Antwort: Gar nicht.
Zu identifizieren und zuzulassen, was in uns vorgeht, unsere Gefühle und Befindlichkeiten nicht als Schwäche, sondern als essentielle Stärke zu sehen, ist die Voraussetzung. Dann bekommt emotional intelligenter Umgang mit unserem Umfeld – und uns selbst – eine Natürlichkeit und Echtheit. Wir trauen uns zu, authentisch zu agieren und verlieren die Angst, zu zeigen, wie und wer wir wirklich sind.

Die positiven, langfristigen Auswirkungen emotional intelligenter Führung werden wir alle – Frauen und Männer gleichermaßen – zu schätzen wissen. Ist es daher nicht höchste Zeit, diesen „weiblichen“ Kompetenzen endlich mehr Platz in den Managementetagen einzuräumen?

Es hat viele Jahre gebraucht, bis ich begriffen habe, dass meine Emotionalität ein Diamant ist, der VIELE Facetten hat. Jede einzelne dieser Seiten ist ein fester Bestandteil davon, was mich ausmacht. Als Mensch. Als Frau. Täglich lerne ich neu, wie ich dieses Schmuckstück am besten zum Leuchten bringen kann. Und mit dem entsprechenden Umgebungslicht gelingt es immer öfter!